Der Antisemitismus bei Chr. A. Schnerring – eine Neubewertung

Vortrag von Dr. Heinz Pfefferle über Christian August Schnerring am Montag, den 25. März 2019, 19.30 Uhr im großen Saal des Gasthauses "Rößle"

Das Kernthema des Vortrags zu Chr. A. Schnerring beim Geschichtsverein am 25. März 2019 war eine neue Bewertung seines Antisemitismus. Soweit Literatur über diesen Autor existiert, ist diese fast ausschließlich mit den Jahren 1916 bis 1918 befasst, also mit der Zeit der Veröffentlichung der zweiten, stark erweiterten Form der gefälschten „Laichinger Hungerchronik“ und seines Romans „Du suchest das Land heim“. In beiden Werken ist der Antisemitismus nicht zu übersehen, zum Teil ist er sehr aggressiv. Daraus schließt Günter Randecker, dass Schnerring ab diesem Zeitraum radikaler Antisemit ist und bleibt und sich mit dieser Einstellung direkt dem nationalsozialistischen Gedankengut anschließt. Randecker interessiert sich weder für Crailsheim als Ort noch für die umfangreichen Werke, die dort von Schnerring verfasst worden sind. Er nimmt nicht zur Kenntnis, dass Schnerring in einer Hochburg des militant antisemitischen „Bundes der Landwirte“ einen Roman verfasst, der im ersten Band zwar Antisemitismus enthält, dabei aber immerhin eine deutliche Unterscheidung zwischen den „Schacherjuden“ und „wackeren und edlen Juden“ trifft. Noch auffälliger ist, dass im zweiten Band auf 690 Seiten überhaupt keine antisemitische Stelle enthalten ist. Ebenso ignoriert Randecker die Entwicklung Schnerrings in den ersten Jahren der Weimarer Republik. Dieser veröffentlicht 1923 – inmitten einer Zeit von extremem Hass und Antisemitismus – einen Roman („Martinsvögel“) – der sehr nachdrücklich für Frieden und Versöhnung wirbt und keinerlei Antisemitismus enthält. Randeckers Vorstellung, dass Schnerrings Antisemitismus in den Jahren 1916-1918 ihn direkt in den Nationalsozialismus hineinführe, sei es vor oder nach 1933, halte ich damit für widerlegt. Gänzlich verkehrt finde ich somit die Vorstellung, Schnerring sei seit 1916 als radikaler Antisemit zu sehen, der diese Haltung in den Folgejahren nicht mehr geändert habe. Sein Briefwechsel mit Robert Bosch im Herbst 1924 wegen eines von ihm vorgeschlagenen Romans über den Albecker Familienzweig (dem Robert Bosch entstammt) ist überdies ein Indiz für eine liberale, ja vielleicht sogar eine linksliberale Haltung Schnerrings. Schließlich ist zu bemängeln, dass Randecker den Antisemitismus Schnerrings ganz losgelöst vom Antisemitismus in der Gesellschaft behandelt. Um 1900 enthalten auch Romanhandlungen von hoch angesehenen Autoren antisemitische Passagen. Dies gilt für „Effi Briest“, „Die Poggenpuhls“, „Der Stechlin“ und „Mathilde Möhring“ von Theodor Fontane und für die „Buddenbrocks“ sowie „Königliche Hoheit“ von Thomas Mann. Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass auch ein ausgewiesener Demokrat wie Matthias Erzberger in seinen Reden nicht eben selten antisemitische Bemerkungen verwendet (Christopher Dowe zählt ca. 80 solcher Stellen). Der gleichsam selbstverständliche Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft seit 1890 muss bei der Bewertung des individuellen Antisemitismus bei Chr. A. Schnerring berücksichtigt werden. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass Schnerrings Antisemitismus durchgängig im Zusammenhang mit seiner tiefen Verbundenheit mit der Bauernschaft zu sehen ist, wohl ebenfalls ein gedankliches Erbe seiner Crailsheimer Zeit. Sie kommt in all seinen Romanen unübersehbar zum Ausdruck. Ziel seines radikalen Antisemitismus von 1915-1918 ist ein Freisprechen der Bauernschaft von einer Mitschuld an der historischen Hungerkrise 1816/17 und an der aktuellen Ernährungskrise ab 1916, dem „Steckrübenwinter“ – auch das sollte bei der Bewertung von Schnerring bedacht werden.
Dr. Heinz Pfefferle