Geschichtlicher Themenabend

180 weibliche Häftlinge des Kz-Lagers Calw verbringen auf ihrem Todesmarsch eine Nacht in Suppingen

Hund mit Halsband und gefletschten Zähnen.

Etwa vierzig Besucher fanden am Montagabend den Weg in den "Engel" zu einem eindrucksvollen historischen Themenabend des Geschichtsvereins Laichinger Alb über ein Ereignis, das beinahe in Vergessenheit geraten wäre: Suppingen als Station eines Todesmarsches von 180 ungarischen jüdischen Kz-Häftlingsfrauen in den letzten Kriegstagen vor 70 Jahren. Das Ereignis fiel aber nicht der Vergessenheit anheim, weil Ulrich Dinkelaker aus Trochtelfingen, der in den letzten Kriegswochen als Kind in Suppingen lebte, von einer Gedenkfeier in Kusterdingen bei Tübingen erfuhr, wo des Evakuierungsmarsches der Häftlingsfrauen aus dem Kz-Außenlager Calw nach Osten gedacht wurde. Dinkelaker erinnerte sich dunkel daran, dass auch im Suppinger Zehnstadel Häftlingsfrauen auf ihrem später so genannten Todesmarsch eine Nacht verbringen mussten und bat seinen Jugendfreund Ernst Baisch, den ehemaligen Suppinger Ortsvorsteher, im Ort nach Zeitzeugen des damaligen Geschehens Ausschau zu halten. Baisch wurde tatsächlich fündig und konnte am Montag Suppinger Mitbürger präsentieren, die ihre damaligen Beobachtungen schilderten oder erzählten, was sie von ihren Eltern erfahren hatten. Und so berichteten Georg Dukek, Rose Bauer und Georg Schneider in bewegenden Worten, was sich damals in Suppingen abgespielt hat. Dukek und Schneider können sich noch genau an die Kolonne der abgezehrten und ausgemergelten Kz-Frauen in Häftlingskleidung erinnern, die, von uniformierten Wärterinnen mit Lederpeitschen bewacht, einzeln in die Zehntscheuer hineingeführt wurden. Mögliche Fluchtwege seien mit Brettern versperrt worden, eine behelfsmäßig gezimmerte Toilette und ein mit Wasser gefüllter Holzzuber mussten als sanitäre Einrichtung ausreichen. Rose Schneider hat sich von ihrer damals zwanzig Jahre alten Mutter, deren Haus in unmittelbarer Nähe des Zehntstadels lag, berichten lassen, dass die Häftlingsfrauen sich am Nachmittag zwei Stunden im angrenzenden Garten aufgehalten haben. Ihnen etwas Milch oder ein Stück Brot zukommen zu lassen, sei strengstens verboten gewesen. Ihr Großvater habe die Wärterinnen - freilich ohne Erfolg - gebeten, den Marsch abzubrechen und aufzugeben, denn der Krieg sei doch ohnehin bald zu Ende. "Ihr ganzes Leben lang hat meine Mutter die traurigen Gesichter und die angstvollen Augen der Häftlingsfrauen nicht vergessen können", sagte Rose Bauer. Ulrich Dinkelaker, dessen Familie am 9. März 1945 aus dem zerstörten Ulm in Suppingen, wo der Onkel als Pfarrer tätig war, untergekommen war, hat mit seinem älteren Bruder die Elendsgestalten und ihre peitschenschwingenden Kz-Wärterinnen ebenfalls beobachtet. Mit akribischem Fleiß hat Dinkelaker den Weg der Häftlinge, die sich unfreiwillig auf der Flucht vor der näher rückenden alliierten Front befanden, rekonstruiert. Von Kusterdingen, wo sich die Frauen am 5. Und 6. April 1945 aufgehalten haben, sei der traurige Zug über Mössingen, ödenwaldstetten, Münsingen nach Sontheim und von da nach Suppingen gezogen. Wenn man eine tägliche Marschleistung von 20 Kilometern durch Wälder, die Deckung vor alliierten tieffliegenden Jagdbombern böten, zugrunde lege, dann könnte der "jämmerliche Haufen", so Dinkelaker, am 9. Oder 10. April in Suppingen angekommen sein. Von da ging es am nächsten Tag, oder bereits in der Nacht, Richtung Gerstetten, dann nach Ulm und schließlich in die Gegend um Kempten. In den letzten 10 Tagen mussten die Frauen in ihrer erbärmlichen gestreiften Häftlingskleidung, ihre wundgescheuerten Füße in Holzpantinen steckend, nochmals 100 Kilometer zurücklegen, ehe die amerikanischen Truppen das Allgäu befreiten und auch dort dem Spuk des Naziterrors und dem Todesmarsch der Häftlingsfrauen ein Ende bereiteten.