Ludwig Ostertag (1855 - 1923)

(Heinz Surek, Laichingen)

Man nannte ihn auf der mittleren Alb nur Geometer Ostertag. Die Laichinger, die ihn kannten, schilderten ihn als markante Persänlichkeit, als leidenschaftlichen, freiheitlich gesinnten Volksmann und Demokraten, der der Laichinger Kommunalpolitik seinen Stempel aufgedrückt habe. Sie verwiesen auf die aufrechte, stattliche Gestalt, auf sein Erkennungszeichen, den gepflegten „Demokratenbart“, auf seine achtungsgebietende Lebensführung und sein gütiges Herz. Geometer Ostertag war ein Liberaler und Demokrat von echtem Schrot und Korn. Seine Ideen von einem freiheitlichen Gemeinwesen mit Grundrechten für alle Menschen und einer demokratischen Verfassung galten im Kaiserreich noch als „umstürzlerisch“ und verwerflich. Und auch in Laichingen wurde er deshalb von vielen angefeindet, so auch von den damaligen kaisertreuen Pfarrern. Als tüchtiger Geometer - später gar Oberamtsgeometer - war er in der Region wohlbekannt. Nur hier auf der Laichinger Alb konnte er leben und wirken. Insbesondere lagen ihm soziale und genossenschaftliche Einrichtungen am Herzen, die dem „kleinen Mann“ zugute kommen sollten. So übernahm er in der Molkereigenossenschaft, in der Darlehenskasse die Kassenführung und das Rechnungswesen, im Landwirtschaftlichen Albverein und im Ortskrankenpflegeverein fungierte er als Schriftführer. Auch dem Gesangverein „Frohsinn“ war er ein guter Vorsitzender.
Seiner Heimatgemeinde diente er über 40 Jahre in den damaligen „bürgerlichen Kollegien“, dem Bürgerausschuss und dem Gemeinderat. Da galt es manchen kommunalpolitischen Kampf zu bestehen, wenn es beispielsweise darum ging, ein neues Schulhaus zu erstellen. Ostertag setzte sich für einen Platz mitten im Ort ein und so entstand 1887 das heutige Radschulgebäude. Seiner Initiative ist es auch zu verdanken, dass 1908 an der Geislinger Straße ein kombiniertes Gas- und Elektrizitätswerk in Betrieb genommen werden konnte.
Die wohl größte Leistung für seine Heimatgemeinde war wohl der Anschluss Laichingens an das bestehende Eisenbahnnetz. Unzählige schwierige Verhandlungen waren zu führen, ehe am Samstag, dem 20 Oktober 1901, der erste Zug im kleinen Laichinger Bahnhof einfuhr. Es war zwar „nur“ eine Schmalspurbahn, die Laichingen mit Amstetten verband, und doch war sie Laichingens „Tor zur Welt“ und ermäglichte der damaligen bäuerlichen Gemeinde den verspäteten Anschluss an das Industriezeitalter.
Als Liberaler setzte sich Geometer Ostertag für eine strikte Trennung von staatlichen und kirchlichen Angelegenheiten ein. Damit war die Gegnerschaft zwischen ihm und dem jeweiligen Pfarrer von vornherein festgelegt. Nicht in Glaubensdingen wurde der „Laichinger Kirchenkampf“ ausgetragen, wohl aber in politischen Angelegenheiten, in die sich die jeweiligen Pfarrer allzu bereitwillig einmischten.
Die Persänlichkeit des Geometers kann nicht gewürdigt werden, wenn man nicht auch an den Friedenskämpfer und Pazifisten Ostertag erinnert. Als einsamer „Rufer in der Wüste“ warnte er vor dem übersteigerten Nationalismus, Chauvinismus und Militarismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für ihn konnte das alles nur in einem europäischen „Morden und Brennen“ enden. Er musste noch selbst erleben, wie recht er mit seinen Warnungen gehabt hatte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs blieben dem gesundheitlich angeschlagenen Mann noch fünf arbeitsreiche Jahre, ehe er am 11. Februar 1923 für immer die Augen schloss, Pfarrer Otto Sauter, der ihn in seinen letzten Lebenstagen besucht und ein mehrstündiges Gespräch mit ihm geführt hatte, teilte den Angehärigen mit, einen gläubigeren Menschen als den Geometer Ostertag habe er in seinem ganzen Leben nicht getroffen.